Code of Theater
Labor für plastisches Denken


02 Theater als System


Theater als System
Als System (altgriechisch sýstēma „aus mehreren Einzelteilen zusammengesetztes Ganzes“) wird im Allgemeinen ein abgrenzbares, natürliches oder künstliches „Gebilde“ bezeichnet, das aus verschiedenen Komponenten mit unterschiedlichen Eigenschaften besteht, die aufgrund bestimmter geordneter Beziehungen untereinander als gemeinsames Ganzes betrachtet werden (können).
Ein abgeschlossenes Theaterstück ist demnach ein geschlossenes System, dessen Teile in geordneter Beziehung zueinander, aber mit unterschiedlichen Eigenschaften oder Aufgaben miteinander korrespondieren.
Sofern keine Beziehungen zwischen den Teilen eines Ganzen bestehen, handelt es sich nicht um ein System, sondern um bloße Mengen, Haufen oder Stoffgemische; auch wenn die konstruierte Anordnung der Teile einer bestimmten Systematik unterliegt und als „System“ bezeichnet wird (Beispiele: biologische Systematik, Periodensystem der Elemente).



Theater verhält sich als Modell wie ein Gedankenexperiment in der Wissenschaft.

Es geht von der Annahme eines typischen menschlichen Verhaltens und Handelns aus und schöpft daraus eine Ableitung von Konsequenzen aus diesem Handeln. Es bleibt aber ein Modell, in dem die Möglichkeiten des Handelns durchgespielt werden, die abhängig von konstruierten Situationen sind. Theater ist also "erfundene Wirklichkeit". Da es auch für die Abbildung von Wirklichkeit benutzt wird, muss man von unterschiedlichen Modellen mit unterschiedlicher Funktion sprechen. Ein Modell zum Zwecke der reinen Unterhaltung, steht hier genauso wenig im Fokus wie ein Theater, welches versucht, die Wirklichkeit abzubilden.


Die Frage stellt sich, ob ein Zuschauer das Theater betritt, um die Bedürfnisse des Systems zu befriedigen oder um seine eigenen Bedürfnisse zu bestimmen und an das System zu übermitteln.



 Ansprache an die Darsteller*innen:


Auch wenn es nicht so aussieht, so hat es doch bereits begonnen. Ihr alle seid auserwählt, um mit dem Studium der Simulation menschlichen Verhaltens zu beginnen.
Die Art zu sprechen, zu denken, die Bewegung, Gangart, oder auch die Geste sind von grossem Nutzen, um dem Menschen zu helfen, etwas über sich selbst zu erfahren.

Mit eurer Hilfe könnten die Zuschauer*innen den verloren gegangenen Instinkt für die eigene Bewertungsbefähigung zurückgewinnen. Unterschätzt nicht die Mitarbeit der Zuschauer*innen an eurem Vorhaben, denn nicht ihr generiert die Bedeutung eurer Worte oder Gesten, sondern sie.
Eure Aufgabe wird es sein, eine moderne Begriffsstutzigkeit zu fördern und in einem Theatermodell zu praktizieren. Euch stehen hierfür alle sichtbaren Elemente dieses Settings zur Verfügung, aber auch die unsichtbaren Ereignisse werden ihre Wirkung nicht verfehlen.
Womöglich ist eure Arbeit dann am sinnvollsten, wenn ihr in euren Simulationen Schaden nehmt, damit im Betrachter die Sehnsucht entsteht, er möge von eurem Schicksal verschont bleiben.


Anleitung zum Mitsprechen für Zuschauer*innen:


Ich weiß, dass ich im Theater bin und ich weiß, dass ich um mein Leben nicht zu fürchten brauche. Ich brauche weder zu fürchten die Bevormundung meines Geistes, noch die schmerzhafte Zerlegung meines Körpers in seine Teile.
Ich habe keine Angst vor der langen Weile, die vor mir liegt, noch muss ich die Kurzweil fürchten. Was ich im Kunstwerk erkenne, soll nicht vorbestimmt sein, es ist ganz allein mein eigenes Erkennen. Ich werde seinetwegen weder gelobt noch getadelt.
Ich werde genauso wenig gelobt wie getadelt für mein Nichterkennen. Da ich weder das Eine, noch das Andere zu fürchten habe, steht mir frei, beides in Anspruch zu nehmen. Ich will verstehen, was die Künstler mir sagen wollen. Dazu benutze ich die mir verliehene Gabe der Interpretation. Aber auch der Fehlinterpretation werde ich mich nicht verschließen, da ich weiß, dass ich das Eine vom Anderen nicht unterscheiden kann. Niemand wird mir deswegen eine Böswilligkeit unterstellen.


Ich wünsche, dass ich das Theater am Ende unversehrt und unbehelligt wieder verlassen kann. Falls aber ein Feuer ausbricht, werde ich mich ruhig und gefasst verhalten, bis man mich auffordert, das Applaudieren zu beenden und einen Ausgang aufzusuchen.
Für den ganz unwahrscheinlichen Fall, dass der Funke auf mich überspringt, werde ich das Feuer unaufgefordert in die Stadt hinaustragen und als brennende Fackel Zeugnis davon ablegen, was hier geschah.

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