Zirkularität beschreibt das zentrale Prinzip kybernetischen Denkens oder kybernetischer Prozesse.
Es hat die lineare Betrachtung von Entwicklungsprozessen hinterfragt und drang damit tief in die Anschauungsmodelle von Welt ein. Natürlich stehen nach wie vor Vertreter zirkulärer Logik denen der linearen Logik gegenüber.
In der Kybernetik bezeichnet Zirkularität das Resultat von Rückkopplungsprozessen. Ausschlaggebend war, dass sich zunehmend die Erkenntnis durchsetzte , dass viele biologische, soziale, physiologische aber auch technische Probleme mit Hilfe eines linearen kausalanalytischen Denkschemas nicht angemessen erklärt werden können, da es die Dynamik „lebender Systeme“ nicht berücksichtigte.
Zirkularität bildet mit Hilfe von Rückkopplungsprozessen auch die Grundlage von Selbstorganisation. Dass heißt, das sich Systeme aufgrund von Rückkopplung verändern und damit selbst einen veränderten Output erzeugen, der über erneute Rückkopplung zu weiteren Veränderungen des Systems führen kann.
»Das fundamentale Prinzip kybernetischen Denkens ist, so meine ich, die Idee der Zirkularität. Da beginnt alles, von dort aus muß man weiterdenken, das ist die Basis. Das Prinzip der Zirkularität zeitigt enorme Folgen, wenn man es zu Ende und in die Tiefe denkt und mit erkenntnistheoretischen Fragen verknüpft. Man betritt auf einmal verbotenes Terrain, befaßt sich mit der unter den Logikern verpönten Selbstbezüglichkeit. Allerdings dauerte es seine Zeit, bis man die Konsequenzen zirkulärer Kausalität voll ausgelotet hat.« (Foerster, Heinz von / Pörksen, Bernhard: Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. Gespräche für Skeptiker. Heidelberg 1998)
Schauspieler*innen sind grundsätzlich vom Feedback der Außeneinschätzung abhängig, da sie sich selbst nicht sehen können.
Der Prozess, welcher zu Verbesserungen der Szene oder besser Veränderungen führt, wird über die Rückkopplung gesteuert. Ähnlich verhält es sich mit dem Feedback des Publikums am Ende eines Theaterabends, es trägt maßgeblich zur Einschätzung des Erfolgs oder Misserfolgs bei den Künstlern bei. Dieses Feedback kann durchaus einen Einfluss auf die nächste Vorstellung haben und das "System" verändern. Da dieser Vorgang ständig zirkuliert und als Prozess beschrieben werden kann, sollte man die Kommunikation zwischen Bühne und Publikum auch nicht mehr als Sender- und Empfängerbeziehung beschreiben, sondern als zirkulierende Kommunikation. Auch die Unterscheidung von Produzenten und Konsumenten ist im Prinzip eine Unterschätzung des Publikums.
Beispiel einer Bewusstwerdung der Zirkulation im Kunstwerk selbst:
Monolog Wang am Beginn von "Der gute Mensch von Sezuan", Konstanz 2017:
Denken Sie, ich sehe Sie nicht?
Falsch gedacht. Ich sehe alles.
Ich weiß, dass ich im Theater bin.
Ich weiß und bemerke auch, wenn Sie mich beobachten.
Jetzt zum Beispiel.
Glauben Sie bloß nicht, das würde ich nicht merken.
Ich bin bei vollem Bewusstsein und nehme alles wahr, was um mich herum geschieht.
Meine Sinne sind geschärft.
Jedes Geräusch und jede Bewegung nehme ich wahr.
Und glauben Sie bloß nicht, das wäre angenehm für mich, so durchbohrt zu werden von Ihren Blicken. Den Schweiß drückt es mir aus den Poren. Mein Herz fängt an zu rasen, die Pupillen weiten sich. Eigentlich macht es mich sogar krank.
Jede Bewegung muss einer peinlichen Prüfung standhalten.
Jeder Schritt soll auf ein Ziel gerichtet sein.
Jedes Wort wird einem auf die Goldwaage gelegt.
Wie soll man da gesund bleiben?
Wussten Sie eigentlich, dass Sie durch Ihre Anwesenheit, durch Ihre forschenden Blicke und
Ihre unbändige Neugier, alles verändern, was Sie im Theater sehen?
Das ist die reine Kybernetik.
Niemand auf der Bühne kann sich unter dieser strengen Beobachtung normal verhalten. Schweißausbrüche, Pupillenerweiterung und Herzrasen. Denken Sie an meine Worte.
Die Geschichte, die ich Ihnen heute Abend erzählen wollte, werden Sie also nicht sehen. Stattdessen werden Sie genau das sehen, was Sie aus ihr machen. Nur durch Zuschauen. Das ist doch der Hammer, oder? Dabei red ich noch nicht mal von den ganzen Fehlinterpretationen, weil ja jeder das sehen kann, was er sehen will. Oder besser, eben nur das sieht, was er auch erklären kann. Das soll aber jetzt kein Vorwurf sein.
Das ist genau das Gleiche, was die Götter mit uns machen. Sie schauen so lange auf uns herunter, bis wir uns von ihnen durchschaut fühlen und versprechen, uns zu ändern. Wer sich aber nicht ändern will, der glaubt einfach nicht an die Götter und der glaubt auch nicht an die Macht des Publikums. Der glaubt nur an Sachen, die ihn nicht beobachten können. Geld zum Beispiel, oder Steve Wonder. So, jetzt ist es mir auch passiert. Das ist genau, was ich meine.
Aber Sie sind natürlich auch nicht in Ihrem natürlichen Element. Sie schauen auf meine Welt von außen, so als ob sie jemals schon auf eine Welt von außen geschaut hätten. Nö, normalerweise schauen Sie auf die Welt von innen und das ist der Unterschied. Und wenn Sie sich fragen, was nun meine Worte zu bedeuten haben, dann sind Sie wirklich an der falschen Adresse, denn nicht ich mache die Bedeutung meiner Worte. Ist verrückt mit der Sprache, sie taugt vor allem dazu, um Verwirrung und Missverständnisse zu stiften. Am besten ist die Sprache noch dazu geeignet, um Gedanken zu verstecken, aber das wissen die Autoren ja leider nicht.
Sehen Sie, das alles hätte ich gar nicht gedacht oder gesagt, wenn Sie mich nicht dazu aufgefordert hätten.
Ich bin wirklich gespannt, was Sie mir über dieses Stück nachher erzählen können, da ich es ja nie sehen konnte.
Ja, Ihre Macht im Theater ist schier grenzenlos. Nur dass Sie es ohne meine Figur gar nicht wüssten und deshalb muss es Theater geben.